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Im Chieminger Schlossgarten, der nur selten für Veranstaltungen geöffnet wird, hat Ortsheimatpfleger Hubert Steiner vor 150 Zuhörern Schlossgeschichten erzählt, die faszinierend ankamen. In seiner unnachahmlich authentischen Art, einer Kombination aus selbst erlebtem und autodidaktisch erworbenem umfangreichen Geschichtswissen, hatte der 82-Jährige die Zuhörer sofort für sich gewonnen und viele Episoden aus der Zeit zwischen dem ersten Schlossbau 1459 und Dekan Conrad Korntheuer (Pfarrer in Chieming von 1880 bis 1911) zur Hand.
Hubert Steiner nahm Bezug auf die Anfänge des Schlosses. In der Landtafel von Herzog Georg dem Reichen erscheint 1479 erstmals der Name „Hofmark Chieming“. Erster Hofmarksherr war Heinrich Ameranger, der 1459 ein Schloss gebaut hatte. Da Heinrichs Sohn beim Tod seines Vaters noch minderjährig war, verwaltete Oswald Öder, der ab 1464 Mautner und Zöllner in Traunstein war, die Hofmark. 1473 erhielt Öder im Auftrag des Klosters Baumburg einen Grund am See, und durfte mit Genehmigung des Stifts einen Sitz bauen. Um ein Wasserschloss zu schaffen, wurde um 1476 der Krebsbach, der ursprünglich in den Pfaffensee (heute Pfeffersee) führte, um das Schloss herum geleitet, mit Einfluss in den Chiemsee. Bis heute fließt der Krebsbach durch den Schlossgarten, wovon sich das Publikum direkt einen Eindruck verschaffen konnte.
Der Neubau des Schlosses in der heutigen Form erfolgte durch Nikolaus Ribeisen in der Reformationszeit 1530. Hubert Steiner ging bildhaft auf die von der Kirche geschürte Angst dieser Zeit ein, mit Drohung vor Hölle und Fegfeuer bei gleichzeitigem Ablasshandel. Als Jurist und Kleriker pflegte Ribeisen gute Kontakte zu Bischöfen und Herzögen und war als Kanzler des Bischofs eingesetzt. Gegenüber „Ketzern“ und kirchlichen Rebellen ging Ribeisen mit harter Hand vor, sagte Steiner. Als Beispiel erläuterte der Ortsheimatpfleger die Anekdote des Augustinermönchs und Beichtvaters der Gemahlin vom Habsburger Erzherzog Ferdinand, Stefan Kastenbauer, der wegen Verdachts der Ketzerei von Ribeisen nach drei Jahren Haft in einem Mühldorfer Pulverturm in die Luft gesprengt werden sollte. Der Bevölkerung sollte vorgegaukelt werden, ein Blitz vom Himmel habe den gottlosen Ketzer vernichtet, doch die Sprengung erfolgte zu früh, Kastenbauer überlebte und konnte dem Trubel entkommen und der mit der Sprengung beauftragte Knecht gestand das öffentlich vorgetäuschte „Gottesurteil“. „Ribeisen war blamiert und vermied zukünftige Besuche in Mühldorf, wo das Erzbistum Salzburg einen Sitz hatte“, so Steiner. Ribeisen war mittlerweile in den Laienstand zurückversetzt worden, weil er es Martin Luther gleich tat und die Tochter des reichen Salzburger Münzmeisters Hans Thenn ehelichte. Der Reichtum seiner Frau ermöglichte Ribeisen weiterhin ein standesgemäßes Leben und schuf Verbindungen zu wohlhabenden Salzburger Kreisen. Am Hof des Salzburger Erzbischofs war Ribeisen offiziell zum Rat erhoben worden, sagte Steiner.
Ebenfalls in die Zeit Ribeisens fällt die Legende vom Salzburger Stierwascher. Hintergrund war der Bauernaufstand von 1525 nach zwei Hinrichtungen von Bauernburschen ohne Prozess, die einen protestantischen Prediger befreien wollten, der in den Hungerturm nach Mittersill gebracht werden sollte. Bereits 14 Wochen lang belagerten die Bauern die Veste Hohensalzburg, in die sich Erzbischof Matthäus Lang und Hofrat Ägidius Rehm mit ihren Getreuen verschanzt hatten. Die Bauern legten es darauf an, die Festungsinsassen auszuhungern. Die Eingeschlossenen erkannten dies und verordneten strenges Fasten, um einer Hungersnot vorzubeugen. Schließlich verfiel der Festungskommandant auf eine List. Der einzig noch verbliebene gut genährte braungefleckte Schlachtstier wurde auf die Festungsmauer getrieben, um den Belagerern zu zeigen, dass die Eingeschlossenen keinen Hunger litten. In der kommenden Nacht strichen diese den Stier weiß an und zeigten ihn am Morgen darauf wieder den Belagerern. Am dritten Morgen trabte ein pechschwarzer Stier über die Festungsmauer. Die aufständischen Bauern waren nun der Meinung, dass die ganze Belagerung nichts gebracht hätte und die Festung noch immer über genügend Lebensmittelreserven verfüge. So zogen die Aufständischen in der Nacht heimlich ab und in der Stadt herrschte großer Jubel. Die Bürger führten den Stier hinab an die Salzach und wuschen ihn solange, bis er wieder braun gefleckt war.
Dass „die gute alte Zeit“ gar nicht immer so gut war, zeigte Hubert Steiner anhand der großen Votivtafel in der Chieminger Kirche, die den Zug der französischen Armee am 12. Dezember 1800 durch Chieming - wenige Tage nach der Schlacht bei Hohenlinden – unter den Generälen Moreau und Lecombe abbildet. Beschrieben ist darin unter anderem die „Pardon“-Bitte des Chieminger Pfarrers Israel Braun (1797-1802), den Ort zu verschonen.
Braun wurde allerdings von den französischen Soldaten so malträtiert, dass er zwei Jahre später an den Folgen der Gewalteinwirkungen verstarb. Auch auf die Schwängerung der Tochter des Thoma-Fischers durch einen französischen Soldaten wird in dem Bild Bezug genommen, sagte Steiner. Außerdem ging der Ortsheimatpfleger auf die Entführung des Laimgruber Hartl-Buben ein, der auf dem weiteren Weg in Kraimoos fliehen wollte und daraufhin barfuß in den Schnee gestellt wurde, bis die 15000 Soldaten vorbeimarschiert waren. Abgefrorene Zehen des Buben waren die Folge. 1640 wurde das Schloss Neuenchieming zum Pfarrhof umgewidmet, renoviert und mit Gästezimmern ausgestattet, sowohl für den Klerus als auch für weltliche Besucher. Bis zur Säkularisation 1803 wurde das Schloss als Klosterhofmark mit Ökonomie weitergeführt. Von den Chieminger Pfarrgrundstücken kamen 128 Tagwerk in eine parzellenhafte Auktion, die von Handwerkern, Landwirten und Gastwirten aus der Nähe erworben wurden.
Im Mittelpunkt von Steiners letzten Erzählungen standen drei Chieminger Geistliche, die alle im Pfarrhof gewohnt hatten. Pfarrer Josef Gallinger wohnte nach seiner Rückkehr als Missionar in den Vereinigten Staaten von Amerika und Mexiko ab 1853 im Schloss, wo er 1856 römische Weihesteine entdeckt und entziffert hat, die allerdings verschollen sind. Gallinger wandte sich mit der dringenden Bitte an den Staat, dem seit der Säkularisation das Schloss gehörte, der Keller des Schlosses solle tiefer gelegt werden, um nicht den ganzen Sommer warmes Bier zu haben, wenn er vom weiten Krankenbesuchergang ermüdet nach Hause käme. „Dieser Wunsch wurde erfüllt, 1858 erfolgte der An- und Umbau des Schlosses. Das Ökonomiegebäude wurde 1863 renoviert und der Dachstuhl gebaut“, so Steiner. Pfarrer Conrad Korntheuer setzte die Forschung und Suche nach historischen Funden und Bodendenkmälern fort. „Sein größter Verdienst für die Geschichte von Chieming ist die Erhaltung der drei römischen Weihesteine, die beim Abbruch der gotischen Vorgängerkirche
entdeckt und die er beim Kirchenneubau ab 1880 in den jetzigen Kirchenbau einmauern ließ“, führte Steiner weiter aus, der in den letzten Jahrzehnten dessen Erbe ordnete und für Interessierte zugänglich machte. Auch an der Freilegung der bajuwarischen Gräber unter der alten Schule und der damals erbauten Dannerschen Handlung war Korntheuer beteiligt, ebenso bei der Erforschung einer „Villa rustica“ nahe Eglsee. 1899 musste Pfarrer Korntheuer wegen einer Überschwemmung des Chiemsees mit einem Kahn aus dem Pfarrhof heraus fahren. Zur Dämmung der Hochwassergefahr erfolgte 1902/1903 die Absenkung durch Eintiefung des Alzausflusses. Nach einer Überlieferung soll Korntheuers private Fundsammlung nach seinem Ableben von der Pfarrersköchin als „Heidenzeug“ im See versenkt worden sein.
Mit einer Mord-Geschichte endeten Hubert Steiners Pfarrhof-Erzählungen. Am 12. April 1829 hat der damalige Pfarrer und ehemalige Kapuzinermönch Peter Paul Bach den Finken Sepperl aus Stöttham mit seinem Jagdgewehr erschossen, nachdem dieser den Versuch unternahm, bei der offensichtlich jungen Pfarrersköchin zum Fensterln zu gehen und diese bereits mit einer Pistole einen Warnschuss abgegeben hatte, um den ungebetenen Besucher zu vertreiben. Pfarrer Bach schoss willkürlich in die Richtung woher der Lärm kam und traf den Liebeshungrigen tödlich. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde der Pfarrer ins Kapuzinerstift Burghausen strafversetzt, so Steiner.
Die Erzählungen von Hubert Steiner wurden umrahmt von den beiden Weisenbläsern Markus Baumgartner und Pius Bauer auf ihren Flügelhörnern sowie den Schwestern Lena (Gitarre) und Hannah Wimmer (Ziach) mit bayerischen Volksstücken. Hubert Steiner dankte dem Schlossherrn Christian Mitterpleininger-Brunnhölzl sowie dessen Frau Barbara und Tochter Johanna für die Öffnung des Schlossgartens. Als Geschenk überreichte Steiner zwei selbst gebaute Holzwerkstücke: ein Hanichl-Barometer, das mittels Fichtenzweig das Wetter voraussagen soll und eine Laterne für abendliche Schlossgänge. Die zahlreichen Besucher gaben dem Ortsheimatpfleger, den Schlossherren und den Musikern großen Beifall für die lehrreiche und unterhaltsame Geschichten-Stunde im Schlossgarten.
Text und Fotos: Arno Zandl