Die Wiege von Joseph Heigenmooser stand im Schulhaus zu Chieming, wo er 1845 als Sohn des Lehrers Joseph Heigenmooser sen. geboren wurde. Dieser versah, wie damals üblich, neben dem Schul- auch den Kirchendienst. Er wirkte als Schullehrer in der königlich bayerischen Schulinspektion in Chieming und übte weitere Tätigkeiten im Dienst der Kirche aus. Leider stürzte er im Jahr 1866 bei Verschönerungsarbeiten am Hochaltar in der Chieminger Pfarrkirche so unglücklich, dass er an den Folgen seiner Verletzungen starb.
Aus seiner Zeit im Schuldienst ist ein seltenes Dokument erhalten geblieben, nämlich ein Schulzeugnis aus dem Jahre 1854. Dieses Schulzeugnis ist ausgestellt auf den Namen Josef Siglreithmayer – Hartl Sohn von Laimgrub. Das Besondere daran ist, dass Josef Siglreithmayer später die Tochter Heigenmoosers sen. – Elisabeth – heiratete.
Elisabeth und ihre Schwester Maria wurden Nachbarinnen, denn Maria wurde Kiermerin zu Laimgrub. Dies war der Nachbarhof vom Hartl, in den Elisabeth einheiratete. Elisabeths Ehe blieb kinderlos, ihre Schwester Maria bekam jedoch fünf Kinder. So kam es, dass eine Tochter Marias zu Elisabeth auf den Nachbarhof kam. Ein Bruder von Elisabeth und Maria war der spätere Schulinspektor Joseph Heigenmooser, dessen Leben wir im Folgenden näher betrachten.
Als Bub ist er durch seine Begabung aufgefallen. So wurde ihm ermöglicht, das Lehrerseminar in Freising zu besuchen, das er im Jahre 1864 erfolgreich abschloss. Nach dieser Zeit in Freising wurde er zunächst Hilfslehrer in Hohenkammer bei München.
Von 1866 – 1868, nach dem Tod seines Vaters, leitete er, in Vertretung seines Vaters, die Chieminger Schule. Danach wurde er Lehrer in Freising, Rosenheim und Ebersberg. Anschließend wurde er als Volks-schullehrer nach München berufen.
Im Jahre 1872 eröffnete das Kreislehrerinnenseminar in München, wo Heigenmooser zunächst nebenamtlich als Fachlehrer für Geschichte tätig war. Bald darauf erfolgte seine Berufung in hauptamtlicher Eigenschaft als Seminarlehrer für Deutsch, Geografie und Geschichte. Wenige Jahre später wurde er zum Seminaroberlehrer befördert und 1884 zum königlichen Direktor der Anstalt ernannt, in welcher er 30 Jahre lang „in segenvollster Weise und geistig, sowie körperlich frisch“ tätig war. Bei seiner Pensionierung im Jahr 1914 war er 68 Jahre alt.
Heigenmooser hat also die große Entwicklung des bayerischen und oberbayerischen Schulwesens seit 1884 miterlebt. Außerdem hat er die Schulgeschichte eines halben Jahrhunderts mitgeprägt, im Besonderen die Geschichte des Instituts der weltlichen Lehrerinnen.
Die Münchener Lehrerinnenbildungsanstalt hatte sich seitdem großartig entwickelt, was damals angesichts der bestehenden, von klösterlichen Lehrerinnen geleiteten Schulen keine leichte Sache war. Heigenmooser wirkte als verdienstvoller, tüchtiger und treusorgender Direktor. Er gab seinen angehenden Lehrerinnen für die Arbeit in der Schule das Wertvollste mit, nämlich ein wichtiges pädagogisch-methodisches Wissen und Können, eine hohe Auffassung von kulturellen Werten und innere Begeisterung für die Schule.
Heigenmoosers 50jähriges Lehrerleben war auch außerhalb der speziellen Berufsaufgabe durch vielseitige Tätigkeiten geprägt. Die berufliche Stellung und die persönliche Tüchtigkeit brachte es mit sich, dass er seitens der königl. Regierung und des Ministeriums mit Gutachten und Arbeiten aller Art betraut wurde. So bearbeitete er im Auftrag des Ministeriums eine große, wertvolle Denkschrift über die Reform des höheren Mädchenschulwesens und wurde mit der Neuorganisation des Lehrerbildungswesens vertraut. Dazu wurde er häufig zu Sitzungen der Landesschulkommission beigezogen. Außerdem gehörte er fünf Jahre lang der Kreisschulkommission Oberbayern an. Mehr als dreißig Jahre war er Mitglied der Prüfungskommission für die Anstellungsprüfung der Oberbayerischen Schuldienstexpektorianten. In dieser Eigenschaft genoss er als humaner und einsichtsvoller Zensor stets das besondere Vertrauen der oberbayerischen Lehrerschaft.
In den letzten Jahren seiner Berufskarriere wurde Heigenmooser auch zu Prüfungen der Erzieherinnen und zu den an der Akademie der Tonkunst stattfindenden Prüfungen für Musiklehrer beigezogen. Dies erfolgte, nachdem sein im Auftrag der musikalischen Akademie geschriebener „Leitfaden für Pädagogik an den Musikschulen“ erstelltes Werk an den Musikschulen München und Würzburg große Anerkennung fand. Zur Prüfung unterstellt wurden ihm die klösterlichen Lehrerinnenbildungsanstalten am Anger in München, in Weichs, in Altötting und Burghausen.
Die Musikfachschule Altötting am Kapellenplatz, in der jetzt hauptsächlich Kirchenmusiker ausgebildet werden, besteht heute noch. Aufgrund seiner Verdienste für das bayerische Schulwesen erfuhr er Anerkennung von höchster Stelle, nämlich die Verleihung des Michaelsordens und des Luitpoldkreuzes.
Der aufgeklärte und humane Pädagoge Heigenmooser verfasste im Laufe seines Lebens 39 Publikationen und wissenschaftliche Abhandlungen, u.a. über die bayerische Schulgeschichte. Er schrieb ein Buch über die Geschichte der Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Einführung der pädagogischen Lehre in bayerischen Schulen. Er entwickelte auch einen Leitfaden zur Schulhygiene. Er war bei diesen Werken seiner Zeit immer voraus. So beschäftigte er sich damals schon mit der Schädlichkeit von Alkoholgenuss und Rauchen bei Lehrern und war gegen den Einsatz der „Prügelstrafe“. Zum Thema Schulstrafen mahnte er seine Lehrerkollegen, dass Demütigungen, wie das „Hinausknien“ und das Anheften von „Strafabzeichen“ der falsche Weg innerhalb der Schulpädagogik sei.
Heigenmooser liebte Bücher und schaffte sich im Laufe der Jahre eine beachtliche Sammlung an Publikationen an. Die Geburtsstunde der Süddeutschen Lehrerbücherei schlug Anfang August 1896, als Joseph Heigenmooser der Hauptversammlung des Bayerischen Lehrervereins seine gesammelten Werke vorstellte. Im Jahr 1911 besaß die Münchner Bücherei schon 16.000 und heute sind es schon über 200.000 Werke.
Heigenmooser heiratete Berta Dreher, eine Tochter des Staatsschauspielers Konrad Dreher. Man nimmt an, dass sie eine Schülerin des Kreislehrerinnenseminars war. Sie schenke ihm vierzehn Kinder, sieben Buben und sieben Mädchen, von denen aber schon mindestens vier nicht mehr lebten, als Heigenmooser im Juli 1914 im Alter von 68 Jahren in Pension ging. Bittere Schicksalsschläge musste er gerade in den letzten Jahren seines Arbeitslebens hinnehmen:
Seine Tochter Josephine ertrank 24jährig im Starnberger See, obwohl sie Rettungsschwimmerin war. Ihre Schwester Annerl, ebenfalls Rettungsschwimmerin habe ihr helfen wollen, ertrank dabei jedoch selbst. Das Ertrinken scheint in der Familie ein häufiges Schicksal gewesen zu sein, denn auch das Mariele und der Sepperl ertranken im Kleinkindalter im Bach hinter dem Haus in Chieming.
Joseph Heigenmooser hatte einen berühmten Enkel, Alexander Mitscherlich, der im Jahre 1982 im Alter von 74 Jahren in Frankfurt am Main verstorben ist. Mitscherlich studierte zunächst Geschichte, Philosophie und Literatur und wurde 1952 Professor für Neurologie und Psychologie in Heidelberg. Er war einer der kritikfreudigsten Gelehrten Deutschlands. Seit 1967 hatte er einen Lehrstuhl an der Universität Frankfurt inne, von 1959 bis 1976 war er Direktor des von ihm gegründeten Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt. Im Jahr 1969 erhielt Alexander Mitscherlich den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Berühmte Publikationen aus der Feder Alexander Mitscherlich sind: „Der Weg in die vaterlose Gesellschaft“, „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ und viele mehr. Seine Frau, Margarete Mitscherlich-Nielsen ist fast 95-jährig im Jahr 2012 verstorben. Das Ehepaar erwarb sich große Verdienste damit, die während des Nationalsozialismus zum Exil gezwungenen Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen wieder in Deutschland zu beheimaten. Zudem haben die Mitscherlichs den Demokratisierungsprozess im Nachkriegsdeutschland mit kritischer Stimme vorangebracht. Das Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ (1967), gemeinsam geschrieben, war von großem Einfluss und gehört zu ihrem bleibenden Vermächtnis.
In den 50iger Jahren wurden in Chieming Straßennamen eingeführt. Vorher gab es lediglich Nummerierungen an den Häusern. Alois Kurz, ein Großneffe Heigenmoosers, setzte sich damals für eine Joseph-Heigenmooser-Straße ein. Die Idee lag nahe, zumal Heigenmooser im Jahre 1901 zum Chieminger Ehrenbürger ernannt wurde. Seitdem gibt es in Chieming die Joseph-Heigenmooser-Straße. Damals, so sagt man, war es noch eine „bessere Feldstraße“, und heute steht dort - wie es der Zufall will - die Chieminger Grund- und Mittelschule.
Quellen:
Heigenmooser, Volker / Heigenmooser, Günter: Bericht Familiengeschichte.
Jennes, Anna (1912 – 1998), Chieming, mündliche Überlieferungen.
Mitscherlich, A. (2003): Auf den Weg in die vaterlose Gesellschaft. Piper Verlag, München.
OCLC WorldCat, Buchdatenbank (online): Zugriff unter www.worldcat.org/search
Ein Auszug aus den Publikationen:
Überblick der geschichtlichen Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in Bayern bis zur Gegenwart. Beiträge zur Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in Bayern, 8. Heft; Beihefte zu den Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte. A. Hofmann Verlag Berlin, 1905.
Eremitenschulen in Altbayern. Ein Beitrag zur bayerischen Schulgeschichte im 18. Jahrhundert. Aus der Serie Beihefte der Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte, Texte und Forschungen zur Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in den Ländern deutscher Zunge. Beiträge zur Geschichte der Erziehung und des Unterrichts in Bayern. A. Hofmann & comp. Verlag Berlin, 1903.
Geschichte der Pädagogik. Quellenbuch und Überblick der Geschichte der Pädagogik mit besonderer Berücksichtigung der bayerischen Erziehungs- und Schulgeschichte. Seyfried Ver-lag München, 1909.
Handbuch der Schulkunde und Schulhygiene. Korn Verlag, Nürnber 1914.
Eine Übersicht der Publikationen findet man im Internet:
https://www.worldcat.org/search?qt=worldcat_org_all&q=Joseph+Heigenmooser
Autoren des Artikels:
Gabriele Augsbach, Chieming
Rudolf und Wiltrud Leitermann, Chieming
Josef Heigenmoosers Rolle bei den archäologischen Ausgrabungen in Chieming im Jahre 1888/1889