Die bildliche Darstellung der Viktualienpreise von 1817
Am 12. April 1815, vor genau 200 Jahren, veränderte sich durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien die Ernährungslage auf der ganzen Welt. Durch den enormen Ausstoß von Asche in die Atmosphäre veränderte sich die Wetterlage derart, dass man 1816 von einem „Jahr ohne Sommer“ gesprochen hat. Wegen der Ernteausfälle brach überall eine große Hungersnot aus.
Aus der Geschichte wissen wir vom Ausbruch des Vesuv aus dem Jahre 79 nach Christus, bei dem die Städte Pompej, Stabiae und Herculaneum verschüttet wurden. Auch führte der Ausbruch des Vulkans Krakatau im Jahre 1883 in Indonesien ebenfalls zu einer riesigen Katastrophe. Der Ausbruch des Vulkans Tambora übertraf jedoch alle bisher registrierten Schäden seit 22.000 Jahren auf der Welt. Der Vulkanberg auf Tambora hob sich durch den Druck von unten auf eine Höhe von 4.300 m über dem Meer, schrumpfte jedoch nach Ende des Ausbruchs auf 2.850 m. Diese gewaltige Auswurfmasse verteilte sich in den oberen Schichten der Wolken über die ganze Erde. Die ca. 180.000 Bewohner dieser Inselwelt wurden durch die Folgen des Ausbruchs und den darauf folgenden Sturmfluten durch anschließende Hungersnöte und Krankheiten sämtlich vernichtet.
Infolge der Verdunkelung der Sonne veränderte sich das Klima derart, dass in zahlreichen europäischen und amerikanischen Staaten verzeichneten Ernteausfälle, Hungersnöte und Wirtschaftskrisen ausbrachen. Viele Menschen in den betroffenen Gebieten beschlossen auszuwandern. In den Vereinigten Staaten von Amerika bewogen Missernten viele Farmersfamilien aus Neuengland und anderen Küstenstaaten in den Nordwesten in die Staaten Ohio, Indiana und Illinois zu ziehen, die dadurch besiedelt wurden.
Am stärksten betroffen waren die Gebiete nördlich der Alpen: Elsass, die deutsche Schweiz, Baden, Württemberg, Bayern und das österreichische Vorarlberg. Durch die schweren Unwetter, traten der Rhein und andere zahlreichen Flüsse über die Ufer. In Frankreich und England kam es zu Aufständen. In der Schweiz musste sogar der Notstand ausgerufen werden. Nachdem Werber der russischen Krone Auswanderwillige eingeladen hatten, erreichte die Auswanderung nach Südrussland ihren Höhepunkt. Durch die Ernteausfälle kam es zu einem starken Anstieg der Haferpreise und in der Folge zu einem starken Rückgang des Pferde- und Nutztierbestandes, was zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts führte.
Die Getreide- und Hackfruchternte ging durch das nasskalte Wetter im Jahre 1816 bis auf ein Drittel zurück. Die Getreidepreise stiegen in Bayern schnell auf das Dreifache. Auf die Hungerskrise reagierte die bayerische Regierung unter Montgelas nur langsam. Sein zögerliches Verhalten war der Anlass für seine spätere Absetzung. Die Getreideexporte in die Schweiz wurden nicht gestoppt und staatliche Getreideankäufe gab es kaum. Nach Beschreibungen aus der Zentralschweiz war die Hungersnot so groß, dass die Leute die unnatürlichsten, oft ekelhaften Sachen aßen, um ihren Hunger zu stillen. In den Bergregionen haben die Kinder oft im Gras geweidet wie die Schafe. Das Elend in der Ostschweiz veranlasste Kaiser Alexander I. von Russland zu Getreidelieferungen und einer Spende von 100.000 Rubeln.
Im von der Klimakatastrophe besonders schwer betroffenen Königreich Württemberg stiftete 1817 der junge König Wilhelm I. einen landwirtschaftlichen Verein und „Das landwirtschaftliche Fest zu Cannstatt“, aus dem das heutige Cannstatter Volksfest entstand, sowie eine landwirtschaftliche Unterrichtsanstalt, aus der die Universität Hohenheim hervorging. Die damalige Königin Katharina von Württemberg leitete den Wohltätigkeitsverein für Hunger- und Katastrophenhilfe, aus dem dann 1818 die Gründung der „Württembergischen Sparkasse“ erfolgte.
In Deutschland wurde der Chemiker Justus von Liebig durch die Erinnerungen an die Hungersnöte zu seinen Untersuchungen über die Bedingungen des Pflanzenwachstums angeregt. Dazu entwickelte er die organische Chemie und führte die Mineraldüngung ein, die zu einer Steigerung der Erträge in der Landwirtschaft führten. Das Pferdesterben infolge der Futtermittelknappheit nach der Tambora-Eruption förderte in Frankreich die Entwicklung der „Draisine“, einem Vorläufer des Fahrrades.
Im Anschluss an den Vulkanausbruch waren die Sonnenuntergänge des Biedermeier in Europa von nie da gewesener Pracht, in allen Schattierungen von Rot, Orange und Violett, gelegentlich auch in Blau- und Grüntönen. Die grandiosen Abendstimmungen inspirierten die englischen Landschaftsmaler und bildeten sich auch in den Farbtönen der Werke von Carl Spitzweg ab.
Durch Ernteausfällen, Hamsterkäufen, mangelnde Einfuhren von Grundnahrungsmitteln aus der Landwirtschaft anderer Länder stiegen die Preise in unbezahlbare Höhen an. Um auf den Märkten und Schrannen zu geordneten Preisen für Nahrungsmittel zurückzukehren, wurden 1817 im Königreich Bayern einheitliche Preise in Gulden (fl) und Kreuzer (kr) für alle Güter aus der Landwirtschaft und des Handels für den täglichen Verbrauch festgelegt.
Die bildlichen Darstellungen erleichterten den Händlern und Käufern die Berechnung der Güter.
gez. Hubert Steiner, Ortsheimatpfleger Chieming